Pferd gegen Pedelec

Wir sind kaum aus dem Zelt gekrochen, da bekommen wir schon Besuch. Unsere Jurtennachbarn sind offensichtlich keine Langschläfer! Sie kommen zu Pferd und auf dem Motorrad. Erst der Junge, den wir von gestern Abend schon kennen, dann seine kleine Cousine, dann der Vater. Die Mutter, die als einzige etwas Russisch spricht, und ein weiterer Sohn lassen sich noch etwas Zeit. Ohne Worte ist der Deal schnell ausgehandelt: Pedelec gegen Pferd.

Der Junge flitzt geschickt auf dem eigentlich viel zu großen Pedelec durchs Gelände und steigt gar nicht mehr ab! Für die Familie scheint es das Selbstverständlichste der Welt zu sein, dass wir auch ihr Pferd „ausprobieren“ dürfen. Ondra, der schon vor 12 Jahren durch die Mongolei geritten ist, schwingt sich auf den Rücken des Tieres und los geht’s. “Tschu tschu” knallen die Zügel abwechselnd rechts und links. Da fragen sich wohl die Schafe wer jetzt ihr wirklicher Hirte ist als sich die beiden in vertauschten Rollen ein Rennen liefern und sich die Herde auf und davon macht. Bikes und Pferd machen die Runde und alle kommen mit einem Lachen zurück. Ich halte mich irgendwie auf dem Pferderücken und bin ehrlich gesagt froh, wieder auf den Fahrradsattel zu steigen. Der Nisene-Sattel von Fi’zi:k ist übrigens super!

Frühstück im Gras

Eigentlich ist es schon Mittag aber egal! Wir servieren heiße Schokolade und Kekse für alle. Unsere 4 Tassen (jeder eine fürs Trinken und eine für’s Essen) lassen wir kursieren. Die Mutter bringt Aaruul, an der Sonne getrockneten Quark. Er ist hart wie Stein und beim Versuch, den säuerlichen Geschmack mit einem Lächeln zu vertuschen, sind die Gesichtsmuskeln bei jedem Bissen wie gelähmt. Doch die Geste zählt und über die herzliche Gastfreundschaft freuen wir uns immer wieder. Über das Gebäck freuen sich dann unsere Besucher der kommenden Tage… 😉

In freundschaftlicher Runde verbringen wir den Tag mit unseren Nachbarn, studieren gemeinsam die Landkarte, radeln, reiten, fotografieren, filmen und erklären immer neuen Besuchern, was es mit den Rädern auf sich hat.

Während ich Zelt und Fahrräder hüte und mit dem Hängeraufbau beginne, verschwindet der Vater mit Ondra in der Jurte – auf einen Wodka und Schnupftabak – von Mann zu Mann…

Mongolische Stutenmilch gegen Taiwanesischen Milchtee

Unterdessen besuchen mich zwei Frauen mit einem kleinen Jungen und fragen nach einer Tasse. Die Mutter gießt frische Stutenmilch ein und reicht mir den Becher. Für mich Stadtkind schmeckt das weiße warme Gold extrem nach Vieh. Aber man gewöhnt sich an alles! … Als Gegeneinladung koche ich Milchtee, den ich als praktisches Fertigpulver von meiner letzten Taiwanreise mitgebracht habe. Wir lächeln uns an und verneigen uns. Dann mache ich mir weiter an unserer mobilen Ladestation zu schaffen. Die Frauen bleiben noch eine Weile in aller Seelenruhe sitzen, schauen mir zu, plaudern, lächeln …

So fliegt der Tag und die Fahrradkilometer dahin … Einen Gang herunter zu schalten lernt man in der Mongolei zwangsläufig schnell. Hier ticken die Uhren langsamer. Die deutsche Power-Mentalität bringt einen kaum weiter, außer vielleicht in den eigenen Wahnsinn 😉

Als Ondra schon leicht beschwipst aus der Jurte zurück kommt satteln wir die Räder um unser Packsystem zu testen. Den sonnig warmen Tag beendet jäh eine schwarze Wolkenwand. Kaum sind wir mit Sack und Pack auf Testfahrt, fängt es an wie aus Kübeln zu schütten. Die Einladung unserer Nachbarn, in der Jurte Unterzuschlupfen zu suchen, nehmen wir gerne an. Schnell noch die Ladegeräte von den Hängern weg, da sie für Sonne, nicht für Nässe gedacht sind und nichts wie ins Trockene.

Willkommen im Ger

Hier ist es warm, schummrig und gemütlich. Der traditionelle mongolische Tee (Süütei Tsai), welcher mit Milch und etwas Salz gekocht wird, ist nach dem kühlen Nass ein wahrer Segen. Ich könnte gleich die ganze Kanne trinken! Dazu reichen unsere Gastgeber eine Schale mit dem besagten Quarkgebäck, „echten“ Keksen und Bonbons. Wir sitzen links vom Eingang in der runden Hütte, unsere Freunde rechts. Der Vater kniet sich vor mich auf den Boden, reicht mir mit beiden Händen ein kleines Keramikfläschchen mit Schnupftabak. Ondra hat mich auf diesen Moment schon vorbereitet. Ich nehme es mit beiden Händen entgegen, öffne es, rieche mit einem tiefen Atemzug daran und reiche es zurück. Mit Ondra wiederholt er das Ritual von der Männerrunde noch einmal. Nur der Arkhi (mongolischer Wodka) bleibt diesmal aus.

Später hocken wir alle zusammen auf einem der beiden Betten und schauen Fotos auf unseren Kameras und iPhones an. In der Mitte des Gers, wie die Jurten in der Mongolei heißen, steht ein kniehoher Ofen, der gleichzeitig als Kochstelle dient. Dahinter ein Tisch. Die Wände schmücken Fotos von Familie und Verwandtschaft. Aufgeräumte Regale und ein kleiner “Altar” sind zu sehen. Schon vorstellbar, dass die Nomaden ein Ger mit so minimalistischer Einrichtung innerhalb einer Stunde auseinander bauen können wenn sie weiterziehen.

Fließend Wasser gibt es keines. Die Nomaden reiten oder fahren mit Wasserkanistern zur nächsten Wasserstelle. Die Toilette besteht bestenfalls aus einem Verschlag irgendwo außerhalb des Gers. Ein Solarpanel liefert Strom für den Fernseher und eine Energiesparlampe.

Gekocht wird über dem Feuer. Fragt sich nur mit was sie Feuer machen? Wir haben auf unseren bisherigen 300-400 km durch die Mongolei keinen einzigen Baum gesehen. Die Antwort ist getrockneter Dung.

Auf zum Naadam-Fest


Das Gewitter ist vorüber. Jungs und Männer satteln die Pferde und kleiden sich in Dels. Der traditionelle Mantel mit farbigem Tuch als Gürtel wird zu Festen und von vielen Nomaden auch als Alltagsrobe getragen. Der Anlass heute ist das nahende Nadaam Fest am 11. Juli, zu dem die Männer noch am Abend zu Pferde in die nächste Stadt aufbrechen. Für das Verabschiedungsritual wird der Tisch vor die Eingangstüre gestellt, mit einem Eimer Airag darauf. Airag ist die berühmt-berüchtigte vergorene Stutenmilch, die manch Fremden fremdeln lässt. Wieder kommt Besuch – auf einem „Motozikl“ made in China. Wer in dem geschäftigen Treiben Leerlauf hat fährt entweder eine Runde Pedelec oder tanzt zur Jukebox des Motorrads.

Zum Abschied werden die Pferde mit Airag begossen. Der Vater bittet uns an den Tisch. Die Mutter füllt eine Schale mit Airag, reicht sie dem Vater, er reicht sie Ondra und zurück. Dann bin ich an der Reihe. Alles was ich bisher über Airag weiß, sind Schauergeschichten. Na schön, Augen zu und runter damit. „Ein kleiner Schluck reicht“ höre ich Ondra sagen und bin erleichtert. Ich reiße mich zusammen und gebe die Schale mit einem Lächeln, das wahrscheinlich schon mal breiter war, an den Vater zurück. Mit beiden Händen. So verleihen die Mongolen (wie auch viele andere asiatische Völker) einer Geste besondere Bedeutung.

Wir lassen Hänger und Gepäck bei Mutter und Tochter im Ger und begleiten die Männer auf unseren Rädern bis zum nächsten Pass. Geil!! Im Speed 3 Modus flitzen wir mit den Reitern mit! 🙂 Oben am Pass verabschieden wir den Nadaam-Zug und heizen querfeldein den Berg wieder herunter, sammeln unsere Sachen am Ger ein und machen es uns im Zelt samt Packtaschen gemütlich. Was ein herrlicher Tag zur Einstimmung in unser E-Nomadentum!


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